05.04.2017
Gastvortrag: Stimmen auf Birkenrinde: Alltagsleben und Kommunikation im mittelalterlichen Novgorod
Im Alten Russland hat man Alltagstexte auf Birkenrinde geschrieben. Diese Birkenrinden haben sich im feuchten Boden Novgorods, einer der ältesten Städte des russischen Nordens, besonders gut erhalten. Die darauf gekritzelten Texte bieten überraschende, detaillierte Einblicke in das Leben der Einwohner von Novgorod – nicht nur der Angehörigen der Oberschicht (der Bojaren), sondern auch der Kaufleute, Handwerker, Bauern, ja sogar der Frauen und Kinder.
Für die Sprachwissenschaft ist das Birkenrindenschrifttum sehr wichtig, da die meisten Texte weder in der überregionalen altrussischen „Standardsprache“ noch auf Kirchenslavisch, der Sprache der geistlichen Literatur, sondern im Novgoroder Dialekt geschrieben sind. In soziolinguistischer und pragmatischer Hinsicht zeichnen die Birkenrindentexte ein komplexes Bild. Dieses Bild reicht von der blossen Verschriftung mündlicher Mitteilungen bis zur Verschriftlichung der Kommunikation, d.h. dem Übergang von der Mündlichkeit (kommunikative Nähe) zur Schriftlichkeit (kommunikative Distanz).
Der Vortrag bietet eine Einführung in die Erforschung der Birkenrindentexte und nimmt ausserdem den Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit anhand ausgewählter Beispiele unter die Lupe.